„Es klingt vielleicht seltsam, aber die mit Abstand beste Pizza meines Lebens habe ich in Tokio gegessen“, sagt Eduard Dimant. „Die Pizzeria heißt Savoy, der Pizzaiolo ist Japaner und er macht ausschließlich Marinara und Margherita.“ Wenn das ein vielgereister Spitzenkoch wie Dimant sagt, dann hat es besonderes Gewicht. Der Mann hat bei absoluten Stars der Grande Cuisine (Jean-François Piège und Pierre Gagnaire, beides legendäre Dreisterner) in Paris gelernt und ist Chefkoch sowie Mitbegründer des Wiener Restaurantphänomens Mochi. Das Betreiberkollektiv mit Sandra Jedlicka, Tobi Müller, Nicole und Eduard Dimant hat mit ihrem Konzept kalifornisch inspirierter japanischer Küche in Kombination mit freundschaftlich zugewandtem Service die Herzen und Gaumen der Wiener und Wienerinnen im Sturm erobert. Mittlerweile hat die Gruppe fünf Lokale. In der Urzelle, dem Mochi am unteren Ende der Praterstraße, sind die Tische seit der Gründung vor zwölf Jahren die wohl begehrtesten der Bundeshauptstadt.
Auch im neuesten und bislang wohl hochklassigsten Lokal der Mochis ist, natürlich, Japan das Thema. Statt der kalifornischen Spielart der japanischen Küche (wie bisher im Mochi) ist nunmehr die japanische der italienischen das Thema. Das Zauberwort heißt Itameshi: Unter diesem Begriff beugen sich japanische Spitzenköche schon seit den 1990er-Jahren mit landestypischer Akribie zu den regionalen Küchen Italiens hinunter – unter minutiöser Einhaltung lokaler Zubereitungsmethoden, aber mit typisch japanischer Aufmerksamkeit für scheinbare Details – und mit sehr bemerkenswerten Abwandlungen, bei denen klassisch japanische Zutaten und Zubereitungsweisen mit uritalienischen kombiniert werden. Eduard Dimants Tokioter Pizza Marinara mit „wahnsinnig fruchtiger Paradeissauce, knusprig luftigem Cornicione, explosiv frischem Oregano und erntefrischem Knoblauch, der in mikrofeine Scheibchen geschnitten und roh taufrisch darüber gestreut wurde“, war also genau das: Cucina Itameshi in Reinkultur.
Diese Art der Küche hat sich zwischen New York und Neuseeland inzwischen zu einem regelrechten Hype entwickelt. „Aber das haben wir überhaupt nicht mitgekriegt“, sagt Dimant, „bis wir uns entschlossen haben, den Dogenhof zu machen und dafür eine organische Verbindung aus italienischer und japanischer Küche zu entwickeln versucht haben.“ Der Dogenhof, das ist schließlich ein prachtvoller, im explizit venezianischen Stil errichteter Jahrhundertwendebau – da war es nur logisch, die japanische DNA des Mochi ein bisserl italienisch aufzuladen. Der Bau und das Restaurant befinden sich am oberen Ende der Praterstraße, die gerade zum Prachtboulevard zurückgebaut wird. Es hat durchaus Symbolkraft, dass die Mochis diese Hauptstraße der Leopoldstadt nun oben und unten mit ihren Lokalen prägen – schließlich hat das Restaurantkollektiv ganz maßgeblichen Anteil daran, dass dieses lange im Dornröschenschlaf ruhende Viertel inzwischen zu den angesagtesten der Hauptstadt zählt.
Der Dogenhof ist aber auch aus einem anderen Grund ein ganz besonderer Ort – schließlich war hier zuvor ein gleichnamiges, ausschließlich mittels Feuerofens und offener Grillstelle bekochtes Restaurant. Die massive Glutgrube und der Ofen bieten einzigartige Möglichkeiten, den Speisen eine unverwechselbare Note zu verleihen. „Das Feuer ist ein essenzielles Element der japanischen Küche“, sagt Eduard Dimant, „bei Yakitori sowieso, aber auch bei vielen anderen Techniken. Die Feuerstelle passt also ideal zu unserem Konzept.“
Und zu Pizza, diesem Urmeter italienischer Kulinarik, sowieso. Im Cucina Itameshi steht sie als „Flatbread“ auf der Karte, wird vor dem Gast ausgezogen, belegt und binnen „45 Sekunden“ im glühend heißen Ofen zu knuspriger Fluffigkeit gebacken. „Aber ganz ehrlich: Ich habe viel zu viel Respekt vor der Expertise echter Pizzaioli, als dass ich unsere Fladen als Pizza bezeichnen würde“, sagt Dimant mit charakteristischer Bescheidenheit. Wer die raffiniert belegten Knusprigkeiten gekostet hat, etwa mit Miso Bagna Cauda, eingelegten Anchovis der Extraklasse und frischem Oregano, der wird die Pizza à la Mochi immer wieder haben wollen. Oder jene mit ausgelösten Miesmuscheln auf Steinpilzcreme mit frischem Kren: ebenso wild wie genial.
Ein anderes für Japan und Italien ähnlich zentrales Thema sind selbstverständlich Teigwaren. „Deshalb haben wir im hinteren Bereich eine eigene Pastaküche eingerichtet“, sagt Eduard Dimant, „da machen wir die Nudeln selbst – in japanischer Tradition natürlich, da kennen wir uns inzwischen schon ganz gut aus.“ Kann man so sagen, schließlich ist die Mochi Ramen Bar mit den täglich selbstgemachten Nudeln seit Jahren so etwas wie der Leitbetrieb der Wiener Nudelsuppenlokale ostasiatischer Prägung. Im Dogenhof werden sie abwechselnd in japanischen Schüsseln und italienischen Pastatellern angerichtet, sie sind ideal al dente gegart, dürfen schamlos japanisch mit Stäbchen der Schlürfung zugeführt werden – und entwickeln eine rauschhaft süditalienische Lust nach mehr.
Tsukemen Mentaiko mit hoch aromatischer Creme aus eingesalzenem, mit Chili gewürztem japanischem Kabeljaurogen ist schlicht meisterhaft, die elastische, bissfeste Nudel eine endlose Aufforderung zum An- und Nachsaugen der herrlichen Mixtur, ganz großartig. Udon mit gerade aufgegangenen, fast noch rohen Vongole und buttergleicher Olivensauce mit N’duja kann es aber auch – irrsinnig befriedigendes Hochschlürfen der dicken, festen, seidig mit Wohlgeschmack ummantelten Pasta. Den Tortellini mit Garnelen-Prosciutto-Fülle stiehlt der außerordentliche Brodo glatt die Show – dunkler, federleichter, aromatisch aufgeladener Dashi, der dank ein paar Tropfen brennscharfen Wasabiöls geradezu elektrische Energie zu vermitteln vermag.
Das Thema Reis ist natürlich auch auf beiden Seiten des Spektrums von zentraler Wichtigkeit. „Da lehnen wir uns mehr ins italienische Fach hinüber und machen einen ganz klassischen Risotto“, erklärt Eduard Dimant, „allerdings mit einem Dashi statt mit Suppe – und mit Sake statt Wein.“ Das Resultat ist unwiderstehlich cremiger, bissfester Risotto, der mit gegrilltem weißem Spargel und Meeresspargel vollendet wird – „ai due asparagi“, wie der Italiener sagt, und wahnsinnig gut.
Der Grill wird für zartes Gemüse – neben Spargel auch Broccolini oder Fisolen – eingesetzt, aber auch für große, rote Wildgarnelen mit Kopf und für Kalbsleber, die ganz hinreißend mit geräuchertem Erdäpfelpüree mit japanischer Tare aus Geflügelfond und einer Portweinreduktion kombiniert wird.
„Was gibt es Venezianischeres als Kalbsleber“, fragt Dimant und man sieht ihm an, wie viel Freude er an diesem neuesten Abenteuer hat. „Das stimmt“, sagt er, „hier kann ich wirklich kochen, die Karte darf sich dauernd ein wenig ändern, die Kreativität wird auf ganz andere Weise gefordert als im Mochi – weil da sind die Gäste richtig empört, wenn wir es wagen, einen unserer Klassiker etwas zu variieren oder gar gegen ein neues Gericht zu tauschen.“
Die Gäste im Itameshi scheinen der neuen Kreativität aufgeschlossen zu begegnen – aktuell ist das Lokal auf zwei Monate hinaus ausgebucht. Ein Gericht aber sollte Eduard eventuell doch als Evergreen für immer auf der Karte lassen: das Tiramisu zum Schluss. Das hebt Dimant zu monumentaler Perfektion, nicht zu geil, aber doch, beschwipst auf kluge Art, cremig biskottiert und zart espressobitter – muss man haben, will man immer wieder.
Praterstraße 70
1020 Wien
Fotocredits: Cucina Itameshi, Jakob Trost