Kichererbse: Das Wunder der Bescheidenheit
Severin Corti

Auf den ersten Blick wirkt sie eher unscheinbar und bescheiden. Tatsächlich jedoch steckt in der kleinen Kichererbse ein grenzenloses multikulturelles Universum an köstlichen kulinarischen Entdeckungsmöglichkeiten – nicht zuletzt auch dann, wenn man dem Klimawandel mit umso größerer Genussfreude begegnen will!

Selbst Italienerinnen und Italiener wissen nur selten, wie unglaublich zart Kichererbsen schmecken, wenn sie Mitte Mai frisch von der Pflanze geerntet werden und in hellstem Grün leuchten. Das verwundert: Unsere köstlichen Nachbarinnen und Nachbarn auf der anderen Seite der Alpen sind sonst die Expertinnen und Experten schlechthin, wenn es darum geht, jedem Gemüse von früher Jugend an das absolute Maximum an Genussfreude zu entlocken.

Aber es sind nur wenige Tage, während derer den Hülsenfrüchten jenes feine Zitronenaroma innewohnt, das etwa die indische Küche als frischen Kontrapunkt in komplexen Currys zu schätzen weiß. Nur in manchen Gegenden Oberitaliens wird dieses Wissen auch für europäische Gaumen erschlossen: Da werden die erntefrischen Dinger am Ende der Kochzeit einem klassischen Risotto beigemengt – und sie machen sich so ganz wunderbar. Aber das Zeitfenster ist kurz, schnell wechselt die Farbe in sanftes Beige, manchmal, je nach Sorte, auch in dunkles Rotbraun. Im Gegensatz zu Bohnen, die erst mit der Entdeckung Amerikas auf europäische Speisepläne fanden, gehören Kichererbsen seit Jahrtausenden zu unserer Kultur.

Bescheiden, unaufdringlich, mannigfaltig einsetzbar: Kichererbsen haben schon die Ägypter in der Antike kultiviert.

In Zeiten, da wir uns des massiven Einflusses der Fleischproduktion auf den Klimawandel  bewusst gemacht haben, kommt dieser besonderen Hülsenfrucht neue und keineswegs von Verzicht geprägte Bedeutung zu. Die scheinbar bescheidene Pflanze hat es nämlich in sich: mit besonders angenehmer, cremiger Konsistenz am Gaumen, mit einer beispiellosen Gabe, sich an kraftvolle Aromen anzuschmiegen – und mit einem wahren Kraftpaket an Proteinen und anderen Inhaltstoffen, die sich unserem Wohlbefinden voll Daseinsfreude andienen.

So beschreiben etwa Ariel Rosenthal, Orly Peli-Bronshtein und Dan Alexander in ihrem großartigen Standardwerk „Auf den Spuren des Hummus“, dass Kichererbsen im alten Ägypten eine wichtige Opfergabe für eine sichere Reise in die nächste Welt darstellten: „Viele der ältesten bekannten Kichererbsen der Welt wurden in wichtigen archäologischen Ausgrabungsstätten entdeckt, entweder als getrocknete Samen oder als Nachbildungen in Form von glasierter Keramik.“ In Indien gehen die Funde noch weiter zurück.

Die levantinische Küche mit ihrer köstlichen, zum Plate Sharing einladenden Vielfalt an Vorspeisen, hat es zu besonderer Meisterschaft im Variieren von Zubereitungsarten der Kichererbse gebracht.

Die alten Römer gaben ihr den Namen Cicer arietinum – daher die Kicher-(Cicer-)Erbse, daher der Legende nach aber auch der Familienname Marcus Tullius Ciceros, des großen Politikers und Philosophen im alten Rom: Das Antlitz eines seiner Vorfahren soll demnach von einer überaus mächtigen Warze geschmückt gewesen sein, deren Form an eine Kichererbse erinnerte. Der botanische Name „arietinum“ wiederum leitet sich von „aries“ für Widder ab, weil manche Sorten kleine Knubbel und Schwünge aufweisen, die an geschwungene Widderhörner erinnern sollen. 

Die Kichererbse macht stark, ihr hoher Proteingehalt prädestinierte sie als billige Kraftnahrung für arme Bauern und Sklaven. Sie waren es, die sich zahllose Zubereitungsvarianten einfallen ließen, ob gekocht als Suppe und Ragout, zu kühler Hummuscreme passiert wie in der Levante, als Mehl vermahlen und zu hauchdünnen, knusprigen „Panisses“-Crêpes gebraten wie in Südfrankreich und Ligurien oder als Dal und Basis für Backteige – etwa für die köstlich knusprigen, mit Kartoffeln und Gemüse gefüllten Pakoras – in Indien.

In Italien ist die Kichererbse eine beliebte Zutat der Minestrone in zahllosen Varianten. Dieser nominell so einfache Gemüseeintopf wird durch die Zugabe erstklassigen Olivenöls und echten Parmesans (sowie, ganz wichtig, eines Schlenkers Weißwein zur Aromatisierung!) zu einer wahren Delikatesse. Gerade jetzt im Herbst lassen sich mit den klassischen Wurzelgemüsen, dazu ein oder zwei Tomaten und eine Handvoll frischen Mangold oder Spinat, ganz köstlich nahrhafte, kraftvolle Suppen und Eintöpfe schmurgeln. Farinata in Ligurien und die bereits erwähnten Panisses in der benachbarten französischen Provence sind wunderbar knusprige, in Olivenöl herausgebratene Pfannenbrote aus Kichererbsenmehl, die sich gut zu frischem Käse, zu Salami und Schinken machen.

Die Spanierinnen und Spanier wiederum sind für ihre Garbanzos guisados berühmt, eingekochte Kichererbsen, die mit reifen Paprika, Kürbis und anderem Gemüse geschmort werden. Im Nahen Osten werden Kichererbsen neben Hummus (am besten wie in Israel mit richtig viel untergemischter Sesampaste „Tahina“) auch zu Falafel verarbeitet oder zum wunderbar würzigen Frühstückseintopf Balilla mit Kreuzkümmel verkocht.

Eintöpfe im Stil der legendären ägyptischen Halabessa mit Tomaten, Gemüse und Kichererbsen sind wahre Kraftpakete des Wohlgeschmacks.

Einen einzigartigen Einblick in die Vielfalt der Rezepte und Einsatzmöglichkeiten bietet der schon eingangs erwähnte Prachtband „Auf den Spuren des Hummus“, der sich insbesondere den Traditionen der Levante widmet. Zwischen Damaskus und Kairo (mit der legendären Halabessa, einer Tomaten-Kichererbsensuppe zum Beispiel) über Tel Aviv (wo das Hummus ebenso luxuriös wie traditionell mit ganz besonders viel Tahini gemacht wird) und Gaza mit seinen Zwiebel-Sumachfalafel bis nach Beirut, wo Hummus auch ganz avantgardistisch mit Sepiatinte und Bottarga aufgetragen wird, und Jerusalem, wo der klassische Eintopf für den Sabbat, der im ausgehenden Ofen geschmort wird, Hamit Shpondra heißt und traditionell mit Beinfleisch und Kichererbsen gemacht wird. Wir haben dieses herzhafte, ideal in den Herbst passende Rezept als Vorgeschmack auf das Buch im Anschluss veröffentlicht.

Aber auch abseits solch fleischlicher Freuden ist es wahrhaftig faszinierend, welches Füllhorn an verschiedenen Rezepten diese kulinarisch so vielfältige, politisch so belastete Region gerade auch den Kichererbsen gewidmet hat. Dass viele, aber keineswegs alle Rezepte sich dem guten Essen von der pflanzlichen Seite nähern, ist natürlich kein Zufall.

Kichererbsen sind nämlich wahre Kraftpakete und eine wirklich erstaunliche Quelle für vollständiges pflanzliches Protein. Eine Tasse gekochte Kichererbsen enthält laut dem US-Gesundheitsministerium 14,5 Gramm Protein, 12,5 Gramm Ballaststoffe und eine beträchtliche Menge an Kalzium, Eisen, Magnesium, Kalium und verschiedenen Vitaminen. Und obwohl Kichererbsen auch einen hohen Kohlenhydratgehalt vorweisen, prädestiniert sie ihr niedriger glykämischer Index laut dem amerikanischen National Institute for Health für all jene, die Probleme mit der Regulierung ihres Blutzuckers haben. Es gibt auch Hinweise, dass der regelmäßige Verzehr von Kichererbsen die geistige Gesundheit fördern und mithelfen kann, vor Herzkrankheiten und bestimmten Krebsarten zu schützen.

Kichererbsen werden in zahllosen Varianten vorgegart und essfertig in der Konserve angeboten – und Qualitätserzeuger, speziell solche aus Frankreich und der großen Hülsenfruchtnation Spanien, bringen da mehr als beeindruckende Produkte auf den Markt. Genießerinnen und Genießer sind aber überzeugt, dass sich ganze Palette an Kraft und Köstlichkeit der kleinen Dinger erst offenbart, wenn sie nach allen Regeln der Kunst eingeweicht und langsam gekocht werden.

Damit sind wir bei einem wesentlichen Thema. Denn das Kochen von Kichererbsen ist einfach, für ein wirklich herausragendes Ergebnis sollten aber ein paar Grundregeln beherzigt werden. Hier wird es allerdings knifflig: Die Weisheiten der verschiedenen Kichererbsennationen, von Indien bis Italien, von Spanien bis in die Levante, variieren nämlich in durchaus entscheidenden Details. Zwar sind sich alle einig, dass vormaliges Einweichen der Kichererbsen für ein besonders cremiges, angenehmes Mundgefühl essenziell ist. Manche salzen das Einweichwasser, andere raten explizit davon ab. Dasselbe gilt für die maßvolle Zugabe von Backnatron. Das alkalische Natron hat die Eigenschaft, die zähen Zellwände durchlässiger zu machen und das in den Kichererbsen enthaltene Pektin aufzuschlüsseln, was ein insgesamt besseres, gleichmäßigeres und cremigeres Resultat zeitigt. Nur: Soll das Natron bereits dem Einweichwasser zugegeben werden – oder erst dem Kochwasser?

Wir haben eine im Libanon weit verbreitete Version getestet, weil die libanesische Küche nicht zufällig als die wohl raffinierteste der Levante gilt, wo die Kultur der Kichererbsen schon seit vielen Jahrtausenden praktiziert wird. Dafür werden die Kichererbsen vor dem Einweichen gründlich gespült und das Einweichwasser mit einem guten Esslöffel Salz und einem Teelöffel Natron pro Liter vermengt. Entgegen der Befürchtungen der spanischen Küchentradition führt das Salzen keineswegs dazu, dass die Hülsenfrüchte beim Kochen hart bleiben – sie sind bloß gleichmäßiger gewürzt und neigen deutlich weniger zum Zerfallen beim Kochprozess als ungesalzene.

Nach dem Einweichen, am besten über Nacht, wird das Wasser abgegossen und abermals gespült. Mit frischem Wasser, ebenfalls mild gesalzen, aufstellen, zum Kochen bringen und schwach köchelnd bei kleiner Hitze fertiggaren, bis die Erbsen richtig weich sind. Das kann eine Stunde, manchmal aber auch zwei Stunden dauern – je nachdem, wie lange die Dinger nach der Ernte gelagert wurden. Manche geben auch dem Kochwasser Natron bei, das könnte, so Feinschmeckerinnen und Feinschmecker, aber den Geschmack des Kochsuds beeinträchtigen.

Und das – Aquafaba genannt – ist gerade in der veganen Küche ein richtig wertvoller Inhaltstoff, weil es wegen seiner Emulsionskraft anstelle von Ei für eine ganze Fülle von Rezepten eingesetzt werden kann, von Mayonnaise und Kuchen bis zu Baisers. Einfach googeln, das Netz ist voll mit spannenden Rezepten!

So eine bescheiden wirkende Erbse, solch eine Fülle an Zubereitungs- und Einsatzmöglichkeiten. Da verwundert es wenig, dass der große Denker und Schriftsteller Umberto Eco („Der Name der Rose“) gar so weit ging, die Entstehung Europas aus den Wirren der Völkerwanderung ohne die erneute Kultivierung der Hülsenfrüchte als „undenkbar“ zu bezeichnen: „Arbeitende Menschen konnten mehr Eiweiß zu sich nehmen; dadurch wurden sie robuster, lebten länger, zeugten mehr Kinder und besiedelten einen ganzen Kontinent neu. Wir glauben, dass unser Fortschritt von komplizierten Maschinen und Erfindungen abhängt. Dass es uns noch gibt – ich meine uns Europäer –, verdanken wir in Wahrheit jedoch den Hülsenfrüchten.“ Also bitte: Mit solch kostbaren Gedanken gewürzt, schmeckt auch eine bescheidene Suppe ganz speziell gut.

Zutaten erhältlich bei METRO.

Hamin Shpondra Rindfleisch-Kartoffel-Kichererbseneintopf

Fleisch ca. 240 Minuten

Zubereitung:

Die Kichererbsen und die Weizenkörner in getrennte Schüsseln geben, so viel Wasser hinzufügen, dass sie mindestens 5 Zentimeter hoch bedeckt sind, und 12 Stunden einweichen. 


2 EL Öl in einer großen Pfanne mit schwerem Boden bei mittlerer Temperatur erhitzen, das Fleisch hinzufügen und etwa 15 Minuten von allen Seiten gleichmäßig anbraten, hin und wieder wenden. Das Fleisch herausnehmen und beiseitestellen. Die Zwiebeln, die Karotte, den Sellerie und die Petersilienwurzeln in die Pfanne geben, verrühren und 5 Minuten anbraten. Den Honig, das Paprikapulver, den Kreuzkümmel, die Kurkuma, das Salz und den Pfeffer hinzufügen. Das Fleisch wieder dazugeben und alles gut verrühren. 


Die eingeweichten Kichererbsen und Weizenkörner abgießen und in die Pfanne geben. 


Die Knoblauchzehen und die Kartoffeln gleichmäßig darauf verteilen. Die Brühe (oder das Wasser) darübergießen und aufkochen lassen. Wenn gewünscht, die gekochten Eier in Scheiben schneiden und darüberschichten. Die Temperatur bis zur niedrigsten Stufe reduzieren, zudecken und 6 Stunden garen, bis das Fleisch und die Kichererbsen sehr weich sind und die Flüssigkeit ganz aufgenommen ist. Alternativ auf einem elektrischen heißen Stein oder im auf 130 °C vorgeheizten Backofen garen. 


Alle 2–3 Stunden prüfen, wie viel Flüssigkeit noch vorhanden ist, und gegebenenfalls Wasser hinzufügen, wenn das Fleisch trocken wirkt. 


Das fertig gegarte Gericht noch heiß in tiefen Schüsseln oder Suppentellern servieren. 

Zutaten für 6 Portionen

300 g getrocknete Kichererbsen
300 g Weizenkörner
60 ml Olivenöl
900 g Rinderrippchen bzw. Querrippe, in große Würfel geschnitten (bitten Sie Ihren Metzger, das Fett zu entfernen)
2 große Zwiebeln, fein gewürfelt
1 große Karotte, fein gewürfelt
1 Selleriestange, gehackt
2 kleine Petersilienwurzeln, fein gewürfelt
1 kleine Sellerieknolle, in Scheiben geschnitten
1 EL Honig
1 EL edelsüßes Paprikapulver
1 TL gemahlener Kreuzkümmel
1⁄2 TL gemahlene Kurkuma
1 EL Salz
1 TL frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
1 Knoblauchknolle, in Zehen geteilt und abgezogen
8 kleine Kartoffeln, geschält
1 l Brühe oder Wasser
6 große Eier, hart gekocht (optional)

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Fotocredits: Christian Verlag / The Hummus Book Project Ltd.

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