Nur sechs Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt, ist Litschau als nördlichste Stadt Österreichs bekannt. Hier, im dünn besiedelten Oberen Waldviertel mit seinen geheimnisvollen, dichten Wäldern, seinen uralten Moorlandschaften und seinen romantischen Natur- und Landschaftsparks sind kulinarische Attraktionen nur eher vereinzelt anzutreffen: Dem grassierenden Wirtshaussterben ist es geschuldet, dass so manches der alten Dorfgasthäuser in den vereinsamenden Ortskernen längst ohne Nachfolge für immer seine Türen geschlossen hat. Umso heller leuchtet daher so mancher strahlende Fixstern am Waldviertler Gastronomiehimmel hervor, allen voran etwa das Landgasthaus von Oswald Topf, dem weithin bekannten Haubenkoch-Pionier des Oberen Waldviertels, der seit bald zwei Jahrzehnten in Kaltenbach bei Vitis eine exzellente, mit zwei Gault&Millau-Hauben und zwei Falstaff-Gabeln prämierte heimische Gourmetküche serviert.
Mit einer Lehre bei Oswald Topf hat einst auch die Laufbahn von Klaus Hölzl begonnen, der seit Herbst 2022 als Küchenchef an der Spitze eines weiteren außergewöhnlichen Kulinarik-Highlights im nördlichen Waldviertel steht: dem Dorfwirt im Theater- und Feriendorf Königsleitn am Litschauer Herrensee. Gleich vom Karrierestart weg beeindruckte Hölzl schon vor dreizehn Jahren mit einer Auszeichnung als Österreichs bester Küchenlehrling bei der Staatsmeisterschaft der Gastronomie 2011, seine weiteren Haubenküche-Stationen führten ihn u. a. in den Gasthof Schloss Aigen bei Salzburg und in den Hangar 7 zu Ikarus-Patron Eckart Witzigmann, wo er bei den im Monatsrhythmus wechselnden internationalen Sterne-Chefs sein Handwerk als Spitzenkoch perfektionierte. Zwischendurch unterstützte er auch in seinem Heimatort Waidhofen an der Thaya seinen Freund Bernhard Zimmerl in dessen äußerst ambitionierten Zwei-Hauben-Fine-Dining-Pub Foggy Mix, ehe er schließlich erstmals den Sprung in die Selbstständigkeit wagte: 2016 eröffnete er gemeinsam mit seiner Ehefrau Melanie das Auszeit in Gastern, wo er prompt mit nur 26 Jahren seine erste Gault&Millau-Haube erkochte.
Nun konnte Klaus Hölzl von Nicole Auer, Hoteldirektorin des Theater- und Feriendorfs Königsleitn in Litschau, vor eineinhalb Jahren für die Küchenleitung des Dorfwirts gewonnen werden und blickt bereits jetzt auf bald zwei erfolgreiche Saisonen zurück, die er nicht zuletzt auch auf die besonderen Qualitäten des Standorts zurückführt: „Das Waldviertel ist grundsätzlich eine recht herausfordernde Region für anspruchsvolle Gastronomiebetriebe – zum einen, weil viele Gegenden eher entlegen und wenig erschlossen sind, und zum anderen, weil man hier die Kostenschere besonders intensiv spürt: Eine qualitätsvolle Küchenlinie erfordert nun einmal entsprechende Investitionen beim Einkauf und bei vielen Nebenkosten.“
„Andererseits“, so erklärt Hölzl, „können insbesondere die regionalen Gäste aus dem nahen Umfeld zumeist sehr sensibel reagieren, wenn man den Boden unter den Füßen verliert und ein ähnlich hochfliegendes Preisniveau vorlegen will wie mancherorts in der Großstadt. Doch zum Glück ist Litschau eine der bekanntesten und beliebtesten Ausflugs- und Ferienregionen des Waldviertels, ebenso beschert uns auch das Theater- und Feriendorf sehr wertvolle Synergien – über mangelnden Zuspruch können wir uns also nicht beklagen, und viele unserer Gäste nehmen gerne auch einen etwas weiteren Weg auf sich, um zu uns zu kommen und bewusst ein Angebot zu genießen, das einerseits regional und bodenständig geblieben ist, zugleich aber auch ein außergewöhnliches Fine-Dining-Erlebnis in einer der schönsten und vielfältigsten Regionen Österreichs bieten will.“
Die richtige Balance zwischen zeitgemäßer Gourmetküche und authentischer Tradition findet Klaus Hölzl daher z. B. bei Rezepten, die regionale Waldviertler Zutaten, wie sie oft auch aus der traditionellen bäuerlichen Küche bekannt sind, auf kreative Weise in außergewöhnliche Gerichte verwandeln: Graumohn und Buttermilch sorgen gemeinsam mit gebackenem Ziegenfrischkäse für Überraschungen in einem knackigen Salat mit viel Aroma und Textur, der Litschauer Schlosskarpfen aus dem Teich gleich vor der Haustüre kommt nicht nur klassisch gebacken, sondern z. B. auch als geräucherte Fischeinlage einer Krautsuppe nach altem Familienrezept auf den Tisch oder auch mit seinem Kaviar gemeinsam mit Bauerntopfen und Erdäpfel-Krusten-Brot.
Apropos Erdäpfel: Dieses urtypische Waldviertler Produkt zieht sich beinahe wie ein roter Faden als erdiges Leitmotiv durch die Speisekarte, einmal etwa als Auswahl besonders rarer, alter Sorten zum gebratenen Wels, ein andermal wiederum als zünftige Erdäpfelknödel zum Wild aus dem benachbarten Forst des Schlosses Litschau oder zur Bauernente vom nur ein paar Kilometer entfernten Geflügelhof Deutschmann in Wiesmaden. Und sogar bei den Desserts ist so manches Zitat der bäuerlich-regionalen Wurzeln auf raffinierte Weise spürbar – etwa bei einer Crème brûlée vom Waldviertler Ziegenkäse mit ländlichen Apfel-, Gurken- und Fichtenaromen.
„Das Waldviertel ist grundsätzlich eine recht herausfordernde Region für anspruchsvolle Gastronomiebetriebe.“
Da Klaus Hölzl nicht nur seiner Heimatregion mit großem Enthusiasmus verbunden ist, sondern auch seinem Standort Litschau, wertet er das Eventprogramm des Theater- und Feriendorfs Königsleitn zusätzlich noch mit seiner ganz eigenen, persönlichen Eventschiene im Dorfwirt auf: einerseits durch laufend neue Specials, bei denen er seine enge Verbundenheit zu den regionalen Produzenten im Rahmen besonderer Kulinarikschwerpunkte zelebriert, von saisonalen Menüs, Dinners und Brunches (jetzt aktuell im Frühling z. B. auch zu Ostern und am Muttertag) bis hin zu regelmäßigen, erlesenen Weinverkostungen mit ausgewählten österreichischen Winzern, Winzerinnen und Sommeliers.
Und da Verbundenheit zur Region für ihn auch die freundschaftlich engagierte Nähe zu jungen Gastro-Unternehmern und -Unternehmerinnen im näheren und weiteren Umfeld bedeutet, hat er zusätzlich noch das besondere Event-Format Koch.Köpfe ins Leben gerufen: Gemeinsam mit Spitzengastronomen und -gastronominnen wie Stefan Fuchs vom Fuchsbau in Wals, Andreas Gratz vom Hotel Tauernhof in Großarl, Matthias Ambrozy von der Gastwirtschaft Ambrozy in Nondorf, Renate Stadlhofer vom Hirsch 28 in Groß Gerungs, Alexander Thaler vom Gasthof Thaler in Großotten, Bernhard Zimmerl vom Foggy Mix in Waidhofen oder René Zimmermann von der Waldjungfrau in Tiefenbach hat er an jeweils drei Abenden im Herbst zu Literatur-, Kabarett- und Musikbegleitung (u. a. mit Star-Geiger Aleksey Igudesman) für kulinarische Höhenflüge gesorgt.
Von der Neun-Millionen-Metropole London zu einem versteckten Geheimtippstraßeneck in der Brigittenau ist es ein weiter und spannender Weg. Besonders spannend und vor allem auch multikulturell und kosmopolitisch wird dieser Weg jedoch, wenn ihn eine Polin mit jüdischen Wurzeln und ein Grazer aus ägyptischer Familie gemeinsam gehen. Denn Ola Szwarc und Nadim Amin sind ein äußerst bemerkenswertes kulinarisches Gespann, das man in dieser Weise in Wien – und möglicherweise sogar auf dem gesamten Planeten – mit Sicherheit kein zweites Mal finden wird.
Zu verdanken ist diese einzigartige und zugleich auf sehr moderne Weise auch durchaus wienerische Mixtur, wie so viele gute Dinge im Leben, natürlich der Liebe. Denn als Ola und Nadim vor einigen Jahren damals noch jeweils solo in London lebten und arbeiteten, liefen sie einander zum ersten Mal in der Küche des Moro von Samantha und Samuel Clark über den Weg – auch diese beiden übrigens ein höchst außergewöhnliches Duo, dessen gemeinsame Leidenschaft für die levantinische und die nordafrikanisch-maurisch-spanische Küche des südlichen Mittelmeerraums nicht nur das Moro selbst seit bald drei Jahrzehnten zu einer Top-Adresse, sondern auch eine ganze Reihe von Kochbüchern zu internationalen Bestsellern gemacht hat.
Inzwischen zum Paar geworden und von den professionellen Erfahrungen im Moro beflügelt, starteten Ola und Nadim zunächst in London ihre ersten eigenständigen Gehversuche als Gastro-Unternehmer und -Unternehmerinnen, später dann auch in Wien, „denn der Brexit und die extrem hohen Mietkosten in London haben das Leben für uns dort leider immer unattraktiver gemacht, weil wir einerseits von einem eigenen Betrieb geträumt und andererseits auch über eventuellen Familienzuwachs nachgedacht haben“, wie Nadim erzählt. Erste Stationen waren kleine Supper-Club-Pop-ups im eigenen Wohnzimmer, die damals schon unter dem vielsagenden Namen „Centrala“ liefen. Denn neben mediterranen und orientalisch-levantinischen Einflüssen war auch die Liebe zur zentraleuropäischen Küche mit deutlichem Einschlag nach Osten bereits von Anfang an fixer Teil des kulinarischen Programms der beiden – nicht von ungefähr, stammt Ola Szwarc doch, wie schon erwähnt, ursprünglich aus Warschau.
Wie hervorragend ihre polnisch-levantinischen Crossover-Inspirationen auch nach Wien passen, davon durfte man sich bis vor wenigen Monaten auch im Brösl im Wiener Stuwerviertel überzeugen: ein mit größter Liebe revitalisiertes ehemaliges Eckbeisl, dessen regional verankerte, nachhaltige Farm-to-Table-Küche von Ola Szwarc als Küchenchefin einerseits mit mediterran-nordafrikanischen, andererseits aber auch mit so manchen osteuropäischen Impressionen in beglückend grenzüberschreitender Weise bespielt wurde. Einträchtig stand da beispielsweise cremig-dicker, libanesischer Labneh-Joghurt-Frischkäse gemeinsam mit höchst bodenständigen Zutaten von erdiger Wurzelgemüsedominanz auf der Karte, also etwa Rote Rübe, Sellerie, Pastinake, Kohlrabi, Fenchel oder Karotte, ebenso Erdäpfel, Bohnen, Kohl oder auch Gurken – nicht selten auch als selbst fermentierte Sauergemüse, deren Rezepte Ola schon aus der Küche ihrer polnischen Oma mitgenommen hatte.
Das mehrjährige und höchst erfolgreiche Gastspiel im Brösl (bereits einige Wochen nach der Eröffnung und trotz diverser Corona-Lockdowns durfte sich das Neo-Wirtshaus schon Ende 2020 über die erste Gault&Millau-Haube freuen) konnte allerdings nicht davon ablenken, dass Ola und Nadim stets davon träumten, ihren eigenen Betrieb zu eröffnen – und das nach mittlerweile bewährtem Brösl-Vorbild gerne ebenfalls als wiederbelebtes Ex-Wirtshaus. Da traf der Zufall zielgenau ins Schwarze, dass einige Bekannte aus einer Wiener Designagentur gerade ebenfalls auf Ausschau nach einer neuen Location waren und diese in Gestalt des stillgelegten einstigen Grätzl-Beisls „Styria XX“ auch prompt in einem revitalisierten Eckhaus an der Gabelung Rauscherstraße/Bäuerlegasse nahe dem Wiener Augarten fanden.
Schnell war klar, dass das Kreativbüro den ehemaligen Festsaal nutzen würde, für die Schank und die Küche wurde allerdings ein neuer Betreiber gesucht. Keine Frage, dass Ola und Nadim nicht lange überlegten und zuschlugen. Bis auf ein paar dekorative Zitate wurde die brutal-rustikale alte Einrichtung im Wurzelsepp-Barock entfernt, stattdessen entstand ein zeitloses Ambiente mit einladend schlichter Eleganz, das beinahe so wirkt, als wäre es immer schon da gewesen. Ein wenig französisch-lässiger Bistrochic, gewürzt mit einer Prise wienerischer Beislheimeligkeit und vor allem dem richtigen, geschmackvollen Gespür für die hohe Tugend des Weglassens – und fertig war das neue, „Rosebar Centrala“ getaufte kleine Gesamtkunstwerk mit einer Handvoll Tischen und einer auffallend hübschen Bar, deren Theke von Nadims Stiefvater (der rein zufällig Schlosser ist) ganz wie ein französischer Bistro-„Zinc“ stilecht mit Zinkplatten verkleidet wurde. Auf den glasierten alten Ziegeln der Bar ist übrigens auffallend oft das Wort „JA“ zu lesen – „das waren die Initialen der damaligen Ziegelei, und da uns das als positiver Begriff so gut gefallen hat, haben wir das gleich so gelassen“, lacht Nadim. Übrigens: Die Bistrotische wurden tatsächlich aus Frankreich organisiert, und da Stilbewusstsein nun einmal auch bei den kleinen, kaum merkbaren Details beginnt, stammt auch das klassisch schlichte Bistrobesteck von Sabre Paris.
Der angenehm gemütliche Minimalismus bei der Einrichtung setzt sich übrigens auch gleich bei der Küchenlinie fort, denn erstens gibt es keine fixe Speisekarte, sondern nur zwei große Kreidetafeln, auf denen das saisonal und regional orientierte Angebot („dass es bio ist, muss man kaum gesondert erwähnen“, so Nadim) laufend wechselt. Und zweitens findet auch auf den Tellern und Tischen kein unnötiges Chichi statt, sondern ein geradliniges, grundehrliches Konzept, für dessen Ursprünge – es darf durchaus noch einmal gesagt sein – man auch ein wenig Olas polnisch/österreichischer Großmutter ein kleines Dankeschön schuldet: prickelnd saure, selbst eingelegte Gurken zum Auftakt etwa, die mit ihrer intensiven Aromatik rein gar nichts mit der gewohnten Industrieware aus dem Literglas zu tun haben. Oder auch Pyrizhky, wechselweise mit Kraut und Maroni sowie Schweinsschulter gefüllte Hefeteig-Brötchen – ein unverkennbar typisches Zitat aus der polnischen und ukrainischen Küche. Große Blätter vom Wirsingkohl werden wiederum mit reichlich Buchweizenblutwurst gefüllt, in Brühe gedämpft und gemeinsam mit süßem Senf serviert – dieser natürlich ebenfalls aus Polen.
Ebenso eindeutig im Osten zu verorten: die geviertelte rote Rübe aus dem Rohr mit Kren, allerdings – und jetzt wird’s wiederum mediterran – mit Aïoli und Olivenöl serviert. Weiter kann’s beispielsweise mit butterzart geschmorten Rindsbäckchen gehen, mit einem zartrosa Steak vom steirischen Bio-Schweinschopf mit Federkohl und rauchigen Dörrzwetschken, mit dicken Scheiben vom saftigen Kochschinken mit britischer Petersilsauce, mit einem ebenfalls britisch inspirierten Pie von der Rindswade mit Lorbeerbutter, Karotten und Markknochen oder auch, falls man keine Scheu vor Innereien hat, auch mit einem süßsauer-pikanten Kalbshirn nach polnischer Art mit Äpfeln und Perlzwiebeln.
„Mit der Rosebar Centrala hat sich jetzt irgendwie für uns auch persönlich und familiär ein Kreis geschlossen“, sinniert Nadim Amin zum Abschied, „denn fast zeitgleich mit dem ohnehin stressigen Restaurantumbau und der Eröffnung sind wir auch noch vor Kurzem Eltern geworden – manchmal wünscht man sich gewisse Lebensträume so sehr, dass sie dann plötzlich alle auf einmal in Erfüllung gehen. Und auch die Familie von Olas Großmutter hat vor dem ersten Weltkrieg ursprünglich in Wien gelebt – dass wir aus London hierhergezogen sind und nun in der Brigittenau ein berufliches wie persönliches Zuhause gefunden haben, bedeutet also eine Heimkehr gleich in mehrfacher Hinsicht. Denn Wien war ursprünglich immer schon ein bunter Schmelztiegel der Kulturen aus Ost und West und aller Welt – und mit der Rosebar Centrala mitten in der Brigittenau sind wir nun in einem sich sehr positiv entwickelnden, aufstrebenden Stadtviertel gelandet, in dem diese Entwicklung besonders spannend spürbar ist.“
Fotocredits: Claus Kadrnoschka, Stephan Mussil, beigestellt, Ariel Pedatzur