Genau genommen ist die Artischocke ja kein Gemüse, sondern die Blütenknospe einer Distelart. Und da auch Disteln durchaus Blumen sind, geht gemeinsam mit der Artischocke auch eine gar blumige Legende zu ihrer Entstehung einher. Denn in der griechischen Antike galt Zeus bekanntlich nicht nur als oberste Gottheit und Herrscher des Olymps, sondern auch als notorischer Frauenheld. Doch nicht alle seiner unzähligen amourösen Eskapaden waren von Erfolg gekrönt, deshalb blitzte der Göttervater einst auch bei der verführerischen Nymphe Cynara ab, die sich seinen Nachstellungen konsequent verweigerte. Erzürnt über die Sprödigkeit der attraktiven Naturgöttin verwandelte Zeus sie kurzerhand in eine stachelige Distel – als symbolträchtige Rache für ihre Widerborstigkeit. Bis heute erinnert die wilde Vorgängerin der kultivierten Artischocke mit ihrer wissenschaftlichen Bezeichnung »Cynara cardunculus« an diese alte Sage. Und auch der bekannte, aus Artischocken hergestellte italienische Aperitif Cynar setzt dem göttlichen Artischockenmärchen ein kleines, alkoholisch-zartbitteres Denkmal.
Was jedoch abseits aller Legenden tatsächlich wahr ist: Die Artischocke ist in der Tat bereits Jahrtausende alt und war als eine der ältesten Kulturpflanzen überhaupt bereits in der Antike als Delikatesse äußerst beliebt – insbesondere im östlichen Mittelmeerraum, aus dem sie ursprünglich stammt, ebenso wie in Arabien, Ägypten und dem Iran. Als sehr wahrscheinlich gilt, dass schon die alten Etrusker an den Küsten Latiums Artischocken kultivierten – mit ein Grund, weshalb sie insbesondere in Rom als größter Stadt der Region schon früh zu besonderem kulinarischen Ruhm gelangte. Bereits Plinius beschreibt sie als ein Luxusgemüse, das vor allem den reichen Römern vorbehalten war. Und noch aus den alten Tagen des römischen Imperiums war etwa das bis heute bei Artischockeninsidern sehr beliebte Rezept für »Carciofi alla matticella« bekannt, eine uralte ländliche Zubereitungsweise mit langer und insbesondere winterlicher Tradition. Denn alljährlich im Januar, wenn es an der Zeit war, die Triebe des Weingartens – die sogenannten »Matticelli« – zurückzuschneiden und die dünnen Holzstängel zu entsorgen, wurden diese eingesammelt und zu großen Lagerfeuern aufgeschichtet. Auf diesen grillten die Weinbauern dann ihre Artischocken, die sie vorsorglich am Ende der Rebreihen angebaut hatten, und die, mit Salz und Olivenöl gewürzt, in der Glut des glimmenden Rebholzes ein besonders delikates Raucharoma erhielten.
Die einfachsten Zubereitungsmethoden sind bei Artischocken zumeist auch die besten – einfach in Salzwasser mit etwas Zitrone gegart oder römisch–minimalistisch in Olivenöl frittiert.
Wer an Rom und Artischocken denkt, hat allerdings zumeist die beiden klassisch römischen Zubereitungsvarianten im Sinn: einerseits »alla Romana«, bei der die Artischocken (typischerweise die klassisch italienische, leicht bläulich-violette Romanescosorte) mit Knoblauch sowie gehackter Minze und Petersilie gefüllt und in Olivenöl und Wasser gegart werden. Die zweite Version »alla Giudia« – was so viel wie »auf jüdische Art« bedeutet – ist zwar eine kleine Kalorienbombe, da die Artischocken ein- oder auch zweimal in heißem Olivenöl knusprig frittiert werden. Zugleich ist dies aber ein trotz seiner Einfachheit auch optisch ungemein prächtiges Gericht, da die Artischocken beim Frittieren wie Blumenkelche aufgehen. Seinen Ursprung verdankt dieses Rezept dem jüdischen Ghetto Roms, wo es schon im 16. Jahrhundert als beliebtes koscheres Gericht zubereitet wurde (daher der Name) und in den späteren Jahrhunderten als absoluter Klassiker in die römische Küche einging – köstlicher Minimalismus pur, dem eventuell nur noch ein wenig Zitronenmayonnaise zur Seite gestellt werden muss, um den Genuss perfekt zu machen.
Deutlich luxuriöser und dekadenter zubereitet – etwa als Artischockenherzenpastete mit Spargel sowie den zart gegarten Kämmen und Nieren von Hähnen – genoss Katharina von Medici, die durch Heirat mit Heinrich II ab 1547 zur Königin von Frankreich wurde, ihre Artischocken. Die dort bis dato nur als Zierpflanze genutzte Artischocke machte sie in ihrer neuen Heimat auch bei Tisch hoffähig, und dank ihres Kochs Bartolomeo Scappi gilt sie heute als Begründerin der klassischen, opulenten französischen Küche. Scappi hatte schon daheim in Florenz die Kunst der Artischockenzubereitung auf die Spitze getrieben und auch als Leibkoch von Papst Pius V. mit aufwendigen Artischockenrezepten brilliert, etwa mit diversen Fleisch- und Schinkenfüllungen, mit Eiern, Käse, Knoblauch und verschiedenen Gewürzen und Kräutern. Ein bis heute zeitlos köstliches seiner Rezepte ist etwa aus dem Jahr 1570 überliefert: eine »Artischocken-Crostata« mit einem zart-knusprigen, croissantähnlichen Teigboden, belegt und überbacken mit Artischockenherzen sowie geschmolzenem Parmigiano und Mozzarella.
Und auch die klassisch französische Zubereitungsform der Artischocke – behutsam in Salzwasser mit etwas Zitrone gekocht und gemeinsam mit einer Vinaigrette aus Essig, Öl und zumeist auch Dijonsenf serviert – stammt aus jener Zeit am französischen Hof und ist bereits im 16. Jahrhundert erwähnt. Zu überbieten ist diese seit über fünfhundert Jahren bewährte Form der Artischockenzubereitung in ihrer überzeugenden Einfachheit bis heute kaum, denn selbst René Redzepi, als Ex-Noma-Chef der Erfinder der neuen nordischen Küche schlechthin, servierte in seinem minimalistischen Luxusrestaurant neben zart geräucherten und gegrillten Varianten auch hier mit Vorliebe die klassisch in Salzwasser gegarte Version – allerdings z. B. mit einem rauchig-aromatischen Eigelb-Whisky-Dip als spannende Alternative zur konventionellen Vinaigrette.
Auch privat liebt man im Starkochhaushalt Redzepi diese einfache Zubereitungsmethode ohne großen Aufwand – denn mehr benötigt die delikate Artischocke zumeist nicht zu ihrer Perfektion. Ein kleines exquisites Extra muss es allerdings dennoch im Hause eines der weltbesten Köche sein. Denn René Redzepis französische Frau Nadine Levy Redzepi verriet vor einiger Zeit dem »Guardian«, dass in ihrer Küche ein üppiger Mayonnaise-Sauerrahm-Dijonsenf-Dip zu Artischocken einfach unverzichtbar ist – nicht zu knapp vollgepackt mit fein gehackten Schalotten, Cornichons und Kapern sowie einer Vielzahl aromatischer Kräuter wie Schnittlauch, Estragon, Koriander, Dill, Salbei und Petersilie
Ebenfalls nach der französischen Tradition – sanft in etwas Salzwasser mit einem Spritzer Zitrone gegart – widmet sich der Berliner Sternekoch Tim Raue der Artischocke. Bei ihm liegt die meisterliche Verfeinerung allerdings im Detail, und hier insbesondere bei den Dips. In seinem äußerst frankophilen Kochbuch »Rezepte aus der Brasserie«, in welchem er auf den Spuren von Robuchon, Ducasse & Co. die Klassiker der französischen Küche mit dem gewissen Raue-Twist brillant aktualisiert, präsentiert er ein Rezept für fachkundig gesottene Artischocken, die bei ihm mit gleich drei verschiedenen Saucen auf Tisch kommen: Einerseits ein einfacher, leichter Crème Fraîche-Dip, andererseits jedoch eine ausgeklügelt mit edlen Zutaten wie Champagneressig, Piment d’Espelette und Safran verfeinerte Mayonnaise sowie ein aromatisch-herber Petersilien-Dip, der die Grundidee einer konventionellen Vinaigrette mit Dashi-Fond und grüner Tabasco-Sauce kreativ abwandelt. Zum Nachahmen unbedingt empfohlen – denn mit diesem wundervollen Amuse Bouche direkt aus Tim Raues Münchner Brasserie Colette kann man gleich vier Menschen auf einmal auf raffiniert einfache Weise glücklich machen.
Zutaten erhältlich bei METRO.
Ganzen à la Tim Raue
Vegetarisch 45 Minuten
Salz, Zitronensaft und Wasser aufkochen. Die Artischocken vom Stiel befreien, dazugeben und bei geschlossenem Deckel leicht köcheln lassen. Nach ca. 35 Minuten die Artischocken mit einer Schaumkelle aus dem Wasser holen und direkt servieren.
Crème Fraîche
Alle Zutaten zu einer Sauce verrühren.
Safranmayonnaise (für 600 Gramm)
Eigelb mit Senf verrühren und das Öl sehr vorsichtig nach und nach in einem dünnen Strahl dazugeben. Mit Salz, Pfeffer und Champagneressig würzen. Die Mayonnaise sollte sehr fest sein. In einem Topf Orangenöl und Olivenöl leicht erwärmen, Piment und Safran dazugeben und warmhalten. Den Orangensaft zugießen und aufkochen. Dann um die Hälfte reduzieren, abkühlen lassen und unter die Mayonnaise ziehen. Mit Zitronensaft und -abrieb nochmals würzen.
Petersiliendressing (für 500 ml)
Die Petersilie grob hacken, in kochendem Salzwasser fünf Sekunden blanchieren und in Eiswasser abschrecken. In einem Mixer zu einem glatten Püree verarbeiten. Die restlichen Zutaten hinzufügen und weiter zu einem homogenen Dressing mixen. Eventuell und je nach Geschmack mit einer Messerspitze Xanthan abbinden, um eine etwas festere Konsistenz zu erhalten.
Die Artischocke pur servieren. Die drei Dips dazu servieren. Zusätzlich eine Fingerbowl und einen Teller für die Blätter eindecken.
4 EL Salz
1 Zitrone (Saft)
4 l Wasser
4 bretonische Artischocken
Crème Fraîche
4 EL Crème fraîche
1 EL Zitronensaft
1 Prise Salz
1 Prise Zucker
Safranmayonnaise
3 Eigelb
1 Teelöffel Dijonsenf
500 ml Sonnenblumenöl
Salz
Pfeffer
3 EL Champagneressig oder Weißweinessig
2 EL Orangenöl oder z.B. mit Orangenschalen selbst angesetztes Olivenöl
2 EL Olivenöl
½ TL Piment d’Espelette oder Rosa Pfeffer bzw. Bunter Pfeffer
½ TL Safran oder 1 EL Kukurma
100 ml Orangensaft
1 Bio-Zitrone (Saft und Abrieb)
Petersiliendressing
1 Bund glatte Petersilie
40 g Zucker
1 EL Senf
100 ml Dashi-Fond oder z.B. mit Wasser entsprechend verdünnte Fischsauce
100 ml weißer Balsamico
30 ml Zitronenöl
Salz
Xanthan oder z.B. 1 Messerspitze Pulvergelatine
gourMETRO
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Video: Shutterstock Fotocredits: Davide Illini/Stocksy.com, Nadine Greeff/Stocksy.com, Wladislawa Schröder/pexels.com, Tim Raues Buch „Rezepte aus der Brasserie“/Joerg Lehmann