Manchmal kann ein Popsong ein ganzes Leben verändern und eine im wahrsten Wortsinn süße Geschichte ins Rollen bringen. Denn eigentlich ist ja Paul McCartney schuld daran, dass Toní Rodriguez vom IT-Techniker zum weltbekannten Patissier wurde und vom unreflektierten Fleischesser zum überzeugten Veganer. Die Story, die Toní dazu auch heute noch gerne erzählt: Vor über zwanzig Jahren hatte er daheim gemütlich zum Abendessen Platz genommen, vor sich ein saftiges Schweinekotelett auf dem Teller, während im Hintergrund auf dem Fernseher ein Livekonzert-Mitschnitt lief: das mittlerweile legendäre PETA Millennium Concert, das der Ex-Beatle im September 1999 als glamouröses Benefiz-Event in Los Angeles vor großem Publikum gespielt hatte.
„Wenn ein veganer Kuchen ganz einfach besser schmeckt als ein Kuchen mit tierischen Zutaten, werden auch Nicht-Veganerinnen und Nicht-Veganer nicht lange nachdenken und am liebsten das vegane Produkt bestellen.“
Zum aufrüttelnden Abschluss der Tierschutz-Gala hatte McCartney, selbst seit Jahrzehnten glühender Veganer und gemeinsam mit seiner verstorbenen Frau Linda schon vor 33 Jahren Gründer des veganen Convenience-Food-Labels Linda McCartney Foods, effektvoll einige erschütternde Aufnahmen aus großen Industrieschlachthöfen auf die Videowalls projiziert – und Toní schmeckte sein Kotelett plötzlich gar nicht mehr. Von einem Augenblick auf den anderen beschloss er, nie wieder Fleisch zu essen, zum engagierten Tierwohl-Aktivisten zu werden und auch sein sonstiges Leben im Zeichen einer tierproduktfreien Ernährung gründlich auf den Kopf zu stellen. Er hängte seinen IT-Job an den Nagel, heuerte stattdessen in einem veganen Restaurant als Tellerwäscher und Küchenhilfe an und schuftete dort acht Stunden täglich an der Spüle und beim Gemüseschnippeln, um genug Geld für seinen neuen Lebenstraum zu sammeln: eine rein vegane Bäckerei in Barcelona mit dem klingenden Namen „Lujuria Vegana“, was so viel wie „Vegane Lust“ oder „Vegane Leidenschaft“ bedeutet.
Und da Toní keine halben Sachen machen wollte, tüftelte er neben seinem Abwäscherjob tage- und nächtelang daheim in seiner Küche an neuen Rezepten, denn die Kunst des veganen Backens basiert neben kreativen neuen Ideen letztlich auch darauf, perfekt funktionierende Alternativen zu konventionellen Backzutaten tierischen Ursprungs – wie Eiern, Milch, tierischen Fetten, tierischer Gelatine und vielem mehr – zu finden. 2005 war Toní Rodriguez’ Traum schließlich Realität geworden, und mit „Lujuria Vegana“ eröffnete er nicht nur sein erstes eigenes Unternehmen, sondern zugleich auch die damals erste und einzige vegane Bäckerei auf europäischem Boden.
„Als ich zum Veganer wurde und mir das entsprechende Know-how zum veganen Kochen und Backen holen wollte, wollte ich mich in veganen Bäckereien bewerben und wäre sogar bereit gewesen, im Austausch gegen das Wissen gratis zu arbeiten“, erinnert sich Toní heute. „Doch in Europa war weit und breit kein geeignetes Unternehmen zu finden. Vegane Bäckereien gab es damals nur in den USA, in Großstädten wie New York, Philadelphia, Seattle und Chicago oder in Kalifornien, weshalb ich schon daran dachte, nach Amerika auszuwandern – doch auch dort gab es für mich keine Chance, in einer Bäckerei unterzukommen. Also brachte ich mir vieles im Alleingang bei, ehe ich ,Lujuria Vegana’ eröffnete, und stellte fest, dass es nicht nur kaum Unternehmen gab, die sich mit dem Thema veganes Backen befassten, sondern auch kaum Wissen über die geeigneten Zutaten und schon gar keine veganen Backbücher. Kurz gesagt: Es war damals fast unmöglich, kompetente Informationen darüber zu bekommen, wie man mit tatsächlich funktionierenden Rezepten vegane Backwaren herstellt.“
Also wurde Toní in Eigenregie zum Forscher in Sachen veganer Bäckerei, und eines seiner bis heute erfolgreichsten Pionierprojekte sind seine veganen Macarons, zu denen ihn die weltberühmten luxuriösen Macarons des Pariser Patissiers Pierre Hermé inspiriert hatten: „Heute wissen viele Menschen, dass es z. B. wunderbar klappt, vegane Macarons mit pflanzlichem Kartoffelprotein herzustellen – doch ich musste dieses Rezept mit viel Herumprobieren damals erst selbst erfinden. Denn die Basis für konventionelle Macarons besteht vor allem aus Eiweiß, Mandeln und Zucker. Dementsprechend war es eine große Herausforderung, eine geeignete Alternative für das tierische Eiweiß zu finden, also testete ich unzählige Proben von Pflanzenproteinen der verschiedensten Hersteller. Jedes einzelne dieser pflanzlichen Eiweiße hatte andere Eigenschaften, was die Textur oder die Lufteinbindung betraf. Und es kostete mich mehr als dreihundert Versuche, bis ich herausfand, dass Kartoffelprotein zur Rezeptur meiner Macarons genau das beitrug, was ich gesucht hatte.“
Toní Rodriguez’ vegane Macarons, die er als autodidaktischer Pionier kreierte, sind heute weit über Barcelona und Spanien hinaus berühmt und eines der beliebtesten Produkte von „Lujuria Vegana“. Noch stolzer ist er allerdings auf seinen Karottenkuchen, „denn als ich selbst 2004 zum allerersten Mal einen köstlichen, saftigen veganen Karottenkuchen gegessen habe, war das der eigentliche Moment der Offenbarung, der meine große Leidenschaft fürs Backen ausgelöst hat.“ Perfektionistisch, wie Toní nun einmal ist, machte er sich an die Forschungsarbeit nach der optimalen Rezeptur für seinen eigenen Kuchen und stellte fest, dass nirgendwo ein Vorbild zu finden war, das seinen eigenen hohen Ansprüchen entsprach: „Auf meiner ersten Amerikareise habe ich unzählige vegane Karottenkuchen probiert, doch für meinen Geschmack waren sie alle viel zu süß. Das Geheimnis meines Karottenkuchens ist hingegen, dass sowohl beim Biskuit als auch bei der Frischkäseglasur viel weniger Zucker verwendet wird. In den USA ist das Verhältnis Zucker zu Frischkäse 3:1, während wir es in Spanien genau umgekehrt machen, damit die Süße den Geschmack nicht erschlägt.“
Wer so wie Toní Rodriguez die Kunst des veganen Backens in Perfektion erlernen will, muss sich freilich keineswegs auf Forschungsreise in die USA begeben oder dreihundert Versuche für die perfekte Macaron-Rezeptur starten. Denn genau das professionelle vegane Back-Know-how, das Toní vor zwanzig Jahre schmerzlich vermisst und sich mit viel Mühe und Akribie selbst erarbeitet hat, reicht er nun in gebündelter Form an alle weiter, die so wie er der Meinung sind, dass hohe Backkunst in Perfektion mit der konsequenten Vermeidung von Tierleid und industrieller Massentierhaltung in beispielgebender Weise Hand in Hand gehen kann. Deshalb sind in seiner „Veganen Backbibel“ nicht nur hundert köstliche Rezepte der zeitgemäßen veganen Top-Patisserie – von diversen Basis-Teigen über Kleingebäck, Kekse und Petit Fours bis zu Torten, Cremes, Flans und Mousses – zu finden, sondern vor allem auch eine geradezu wissenschaftlich genaue und gründliche Auflistung aller veganen Alternativprodukte mit exakten Erklärungen ihrer Besonderheiten und Eigenschaften.
So erfährt man etwa bis ins kleinste Detail, wie man perfekten Ei-Ersatz auf Basis diverser Pflanzenproteine selbst herstellen kann, warum Sojalecithin gerade zum Backen optimal als Milchalternative geeignet ist oder welch große Vielfalt an Geliermitteln anstelle von tierischer Gelatine zur Verfügung steht. Doch nicht nur Alternativen zu tierischen Produkten, auch pflanzliche Zutaten werden von Toní Rodriguez genauestens unter die Lupe genommen und mit all ihren Eigenschaften sowie Vor- und Nachteilen extrem informativ erklärt, von diversen Stärkearten über Getreidesorten bis zu Texturgebern, pflanzlichen Fetten sowie Mehlarten und Zucker.
Unter Tonís Tipps findet sich auch so mancher verblüffende Eye-Opener – denn wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Croissants, die man üblicherweise mit intensiven Butteraromen in Verbindung bringt, auch mit Olivenöl und Ahornsirup hervorragend gelingen können? Und wer war sich bisher der Tatsache bewusst, dass tierische Zutaten nicht nur in puncto Tierleid und Umwelt problematisch sein können, sondern sogar auch in puncto Genuss eine Barriere zwischen unser Geschmacksempfinden und die ursprünglichen Aromen der Zutaten legen können? „Bei unserer Arbeit haben wir mit der Zeit immer deutlicher festgestellt, dass Milchprodukte und Eier den Backwaren einen bestimmten und oft sehr dominanten Geschmack verleihen, wodurch wichtige Aromen anderer Zutaten überdeckt werden“, sagt dazu Toní Rodriguez. „Wenn wir hingegen ein Haselnussgebäck zubereiten, möchten wir, dass die Haselnuss die Hauptrolle einnimmt, dass keine Zutaten zugefügt werden, die den unglaublichen Geschmack von gerösteter Haselnuss verstecken könnten. Das betrifft gleichermaßen jede andere Nuss oder auch Zutaten wie Früchte, Schokolade etc. – egal, auf welche Süßware bezogen. Daher arbeiten wir in fast all unseren Zubereitungen mit Wasser oder Sojamilch als aromatisch zurückhaltender Flüssigkeitsbasis, um den Geschmack des eigentlichen Stars der Rezeptur so pur wie möglich halten.“
Doch nicht nur in seiner „Veganen Backbibel“ regt Toní Rodriguez zum ebenso kritischen wie genussvollen Nachdenken an und wirft die spannende Frage auf, warum wir beim Backen immer noch oft unnötig an alten Gewohnheiten und tierischen Zutaten festhalten. Auch in seiner „Wildslice Academy“, die er seit 2018 als Schulungszentrum für veganes Backen gemeinsam mit seiner Frau Sara Pennacchio betreibt, will er neue Denkanstöße für professionelle Bäckerinnen und Bäcker, Patissières und Patissiers, Restaurantbesitzerinnen und -besitzer, Cafétiers und alle anderen liefern, die sich für eine neue Ära des Backens interessieren, in welcher der Verzicht auf tierische Zutaten sowohl aus ethischen und ökologischen, aber genauso auch aus wirtschaftlichen und Vernunftgründen immer mehr zur Selbstverständlichkeit wird: „Unter meinen Studentinnen und Studenten sind auch viele professionelle Gastronominnen und Gastronomen, die in ihren Restaurants und Cafés parallel ein Sortiment von glutenfreien, veganen und auch nicht-veganen Produkten anbieten, was für einen Profibetrieb eigentlich viel zu kompliziert ist. Die einleuchtende Alternative ist es daher, ganz einfach ein einheitliches Produkt anzubieten, das supergut ist, allen schmeckt und von allen problemlos verträglich ist. Denn wenn ein veganer Kuchen ganz einfach besser schmeckt als ein Kuchen mit tierischen Zutaten, werden auch Nicht-Veganerinnen und Nicht-Veganer nicht lange nachdenken und am liebsten das vegane Produkt bestellen.“
Zutaten erhältlich bei METRO.
Dessert ca. 45 Minuten
Für den Mürbteig Mandelmehl, Puderzucker, Salz und Mehl in einer Schüssel vermischen. Margarine hinzufügen und die Zutaten vermengen, bis die Margarine vollständig eingearbeitet und die Masse feinkrümelig ist. Anschließend Wasser und Vanilleextrakt zugeben. Zutaten etwa 1 Minute verkneten, bis ein kompakter Teig entstanden ist. Den Teig zwischen zwei Blatt Backpapier oder zwei Blatt Schokoladentransferfolie 2–3 mm dick ausrollen. Vor der Verwendung in Frischhaltefolie gewickelt für 4–6 Stunden kaltstellen.
Mit dem Teig eine runde Backform (Ø 22 cm) auskleiden. Tiefkühlen, bis der Teig gut durchgekühlt ist. Danach den Teigboden mehrfach mit einer Gabel einstechen. Den Teig mit Backpapier bedecken und mit getrockneten Hülsenfrüchten beschweren. Bei 160 °C (Umluft) im vorgeheizten Backofen 15 Minuten backen.
Anschließend 2 Minuten abkühlen lassen, dann das Backpapier samt den Hülsenfrüchten entfernen. Erneut in den Backofen geben und etwa 10 Minuten bei 160 °C goldbraun backen. Danach abkühlen lassen.
Etwas Kakaobutter oder Schokolade schmelzen und den Kuchen an den Innenrändern und am Boden damit bestreichen. Das schützt den Mürbeteig vor der Feuchtigkeit der Füllung und er bleibt knusprig. Im Kühlschrank erkalten lassen.
Das Wasser, den Zitronensaft und den Zitronenabrieb in einem Topf auf 70 °C erhitzen. Dann 1 Stunde bei Zimmertemperatur ziehen lassen. Anschließend abseihen und auf 45–50 °C erhitzen. Inzwischen den Zucker mit dem Pektin und dem Salz in einer Schüssel vermischen. Die Zucker-Pektin-Mischung nach und nach unter ständigem Rühren zur warmen Flüssigkeit geben und unter Rühren auf 85 °C erhitzen.
Die warme Flüssigkeit mit dem Kokosöl sowie dem Johannisbrotkernmehl nach Belieben in einen Rührbecher geben und mit dem Pürierstab glatt mixen. Dann auf 55 °C abkühlen lassen und anschließend erneut aufmixen. Auf 30 °C abkühlen lassen, dann auf dem gebackenen Mürbteig verteilen. Den Kuchen für mindestens 4 Stunden kaltstellen.
Für die Herstellung des Aquafabas die zuvor eingeweichten Kichererbsen oder Bohnen ca. 1-2 Stunden garkochen und gründlich (am besten über Nacht und im Kühlschrank) abkühlen lassen (oder das Kichererbsen- oder Bohnenabtropfwasser aus der Dose verwenden) und mit Weinsteinbackpulver, Salz und Johannisbrotkernmehl vermengen. Mit dem Schneebesen oder dem Handrührgerät zu einem festen weißen Schaum aufschlagen. Der Schaum kann nun wie Eischnee verwendet werden, sollte aber möglichst bald weiterverarbeitet werden, da er sonst schnell wieder zusammenfallen kann. Inzwischen den Zucker und das Wasser in einem Topf auf 118 °C erhitzen und zu einem Sirup kochen. Den Sirup langsam unter Rühren bei hoher Geschwindigkeit in den Aquafabaschaum einfließen lassen.
Wenn der gesamte Sirup eingerührt ist, weiterrühren, bis die Mischung 40 °C erreicht hat. Das Baiser dann in einen Spritzbeutel mit gezackter oder Saint-Honré-Tülle füllen. Die gekühlte Tarte mit dem Baiser bedecken und diesen mit einem Küchenbunsenbrenner flambieren. Gekühlt servieren.
Mürbteig (für 560 g Teig):
40 g Mandelmehl
80 g Puderzucker
2 g Salz
280 g Weizenmehl Type 405
140 g Margarine
30 g Wasser
3 g Vanilleextrakt
Hülsenfrüchte zum Blindbacken
Kakaobutter oder Schokolade nach Geschmack
Zitronencreme:
255 g Wasser
255 g Zitronensaft
feiner Schalenabrieb von 2 unbehandelten Zitronen
120 g Zucker
8 g Agartine
1 g Salz
90 g Kokosöl
Aquafaba:
100 ml Kichererbsen- oder Bohnenwasser (nach dem Aufkochen oder aus der Dose)
1⁄2 TL Weinsteinbackpulver
1 Prise Salz
1⁄2 TL Johannisbrotkernmehl
Italienisches Baiser und Fertigstellung:
100 ml Aquafaba
200 g Zucker
40 g Wasser
gourMETRO
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Fotocredits: Christian Verlag/Becky Lawton, Stockfood, beigestellt